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Zur Sinnfrage: Ansätze
   
 


                            
        Alle Philosophen philosophieren.    Aber es gibt so viele philosophische Positionen, wie es Philosophen gibt. Unsere Frage ist: Gibt es Gemeinsamkeiten, die dem Ausdruck „philosophieren“ zu Grunde liegen? Gibt es ein gemeinsames Vorgehen und vielleicht sogar ein gemeinsames „Wohin“, einen „Rand“, an den die Philosophen geraten?

Um das herauszufinden, wollen wir ausgesuchte philosophische Systeme etwas genauer betrachten, und zwar sehr verschiedene Systeme aus verschiedenen Epochen. Für das Denken Epikurs, der Stoa und von Sokrates habe ich versucht ein Grundmuster des Philosophierens herauszuarbeiten. Näheres dazu unter  www.philosophia.privat.t-online.de  („Vom Staunen und von der größeren Freiheit“).
An dieser Stelle soll – in aller Kürze – auch das Denken von Immanuel Kant, dem Alles-Zermalmer, dem Philosoph der kopernikanischen Wende, daraufhin untersucht werden.




Die Philosophie Kants ist von drei Fragen geleitet: 1. Was kann ich wis­sen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen? Und zusammen beantworten sie eine vierte Frage: Was ist der Mensch?

Bei der Frage „WAS KANN ICH WISSEN?“ übernimmt die Vernunft drei Rollen. Sie ist die Angeklagte, der man vorwirft, unbe­rechtigte Erkenntnisansprüche zu erheben. Sie ist die Verteidigerin, die sich Argumente zugunsten der Vernunftansprüche überlegt. Vor allem ist sie die Richterin, die das Urteil fällt, übrigens ein demokra­tisches Urteil, da es auf die «Einstimmung freier Bürger» ankommt (O. Höffe).

WAS SOLLEN WIR TUN?
Kant entwickelt u.a. in der Kritik der praktischen Vernunft die Begriffe der Pflicht, des kategorischen Imperativs und der Unterscheidung von Moralität und Legalität. Er entdeckt den Ursprung der Moral in der Autonomie des Willens und sucht mit dem Faktum der Vernunft die Wirklichkeit der Moral zu be­weisen.

WAS DARF ICH HOFFEN?
Für Kant zerfällt die Philosophie zunächst in zwei Hauptteile: in die theoretische Philosophie der sinnlichen Welt, der Natur, und in die praktische Philosophie der moralischen Welt, der Freiheit. Beide Tei­le und Welten dürfen aber nicht unverbunden nebeneinander beste­hen, denn die Freiheit soll sich in der sinnlichen Welt darstellen. Um die Kluft zwischen Natur und Freiheit zu überbrücken, sucht Kant eine Vermittlung.

Die Frage, ob das, was die Moral fordert, auch einmal zur dauer­haften Wirklichkeit wird, ist für Kant Gegenstand des Hoffens, freilich nicht eines schwärmerischen, sondern eines begründeten («rationalen») Hoffens. 

 Sehen wir nun zu, ob wir auch im Denken Kants das uns schon geläufige (vgl. Epikur, Stoa ...) Grundmuster entdecken können.


Phase eins: Der Philosophierende übersteigt allein durch seine Vernunfttätigkeit den Bereich der sinnlichen Wahrnehmung und begibt sich in Distanz zur sinnlichen Unmittelbarkeit.
Das menschliche Wissen ist prinzipiell unabschließbar. wir begegnen in dem, was wir als Wissen verstehen, immer auch unseren eigenen Konstrukten und das „Ding an sich“ bleibt unzugänglich. - Auf dieser Stufe distanziert sich also der Philosophierende vom unmittelbar Gegebenen.

Phase zwei: Hier wäre nun nach dem größeren Ganzen gefragt, dem sich der Mensch anvertrauen muss. Bei Kant ist dies offensichtlich die Vernunft, vor deren Gerichtshof sich alles rechtfertigen muss. Kant verkündet gewissermaßen ein Evangelium der Vernunft (Werner Trutwin). Kant entwickelt, so Trutwin, die zu seiner Zeit völlig unkonventionelle Utopie eines ewigen Friedens. Erst dann wird das radikal Böse, für Kant ein natürlicher Hang des Menschen, endgültig überwunden. In Anspielung auf ein Bibelzitat sagt er, dass wir zuerst nach dem Reich der Vernunft trachten sollen, dann werde uns auch der ewige Friede gegeben werden.




Bei „Phase drei“ fügen sich die Elemente nicht so leicht zusammen.  Wir sind nach Kant angehalten zu hoffen, zu hoffen, dass Glück und Moral zusammenstimmen, wenn nicht in diesem Leben – was wohl eher die Ausnahme wäre – dann in einem jenseitigen. Wir müssen das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele postulieren, damit moralisches Handeln sinnvoll möglich wird. Es bleibt ein Schritt ins Offene, ein Vorschuss an Vertrauen in die Vernünftigkeit des Kosmos, es bleibt ein Wagnis. Philosophische Heiterkeit will sich nicht so recht einstellen. In Verbindung mit der Moralität gibt nur so eine Art Vorschuss davon.

Eine spürbare Bewegung des Gemütes kommt in dem berühmten Satz zum Ausdruck: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“
Bewunderung und Ehrfurcht in zunehmendem Maß sind ein Reflex darauf, dass der Mensch mit sich und dem Kosmos zusammenstimmt.
Auffallend an der Formulierung ist, dass Kant jeden persönlichen Bezug vermeidet, indem er von „dem“ Gemüt und „dem“ Nachdenken  nicht von „meinem“ Gemüt und „meinem“ Nachdenken spricht.  Zum Schluss noch der Hinweis auf ein Schema, das ich bei Sam Keen in seinem Buch „Wider die Leere in unserer Zeit“ (Ulm 1998) S. 27 (Originaltitel: Hymns to an unknown God) gefunden habe. Der Autor hat es wohl von anderer Stelle übernommen. Der Abdruck der Graphik ist klein und von schlechter Qualität. Und das Schema wird nirgendwo im Detail kommentiert.


1. Zweifel    2. Schatten des Zweifels    3. ruhiges Bewusstsein    4. sicheres Wissen
5. absolute Überzeugung   
6. Der Abgrund, in dem alle Sicherheit und alle Überzeugungen verloren gehen. 
7. Weisheit

Es werden bildhaft verschiedene Etappen auf dem Weg zur Weisheit dargestellt: der Zweifel, der Schatten des Zweifels, das ruhige Bewusstsein, das sichere Wissen, die absolute Überzeugung – und schließlich ein Abgrund, in dem alle Sicherheiten und Überzeugungen verloren gehen – und dann jenseits dieses Abgrundes der Bereich der Weisheit.


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